Donnerstag, Dezember 10, 2009

Reise nach Berlin



I
Über den Wolken
Hier scheint ewig die Sonne
Hier herrscht ewiger Sommer
Doch wie im richtigen Leben
Trügt der Schein -
Das Paradies ist anderswo

II
Erinnerungsfetzen wie
Fader Geschmack im Mund
Flaues Gefühl
In der Magengegend
Das Flugzeug nähert sich
Seinem Bestimmungsort

III
Die große Stadt unter mir
Hierher flog ich einmal
Um ein Jahr zu bleiben
Ein Jahr das Himmel und
Hölle zugleich wurde
Ein Jahr das Wunden schlug
Die nie mehr heilen werden

IV
Ich schließe die Augen
Und denke an die russische
Propellermaschine mit der
Ich damals flog, höre den
Ungewohnten Lärm der Motoren
Und fühle wieder die Unsicherheit
Vor dem was mich erwarten würde

V
Wer kann sich heute noch vorstellen
Wie es war in der geteilten Stadt
Die Armut, die Angst
Der unendliche Neid und das
Misstrauen einem aus dem
Feindlichen Westen gegenüber
Auch wenn er ihre Sprache sprach

VI
Die moderne Maschine gleitet heute
Fast geräuschlos über Vororte
Ich versuche mich zu orientieren
War es nicht dort wo ich wohnte
Graue trostlose Plattenbauten,
Über die Stalinallé zu erreichen
Und trotzdem privilegiert
Zimmer, Küche, Bad für eine Person
Reiner Luxus trotz Stasiwache
Tag und Nacht vor dem Haus
Und keiner der seltenen Besucher
Blieb unregistriert

VII
Und wie man damals allein
Am Geruch feststellen konnte ob
Man sich im westlichen oder östlichen
Teil der Stadt befand
Der Geruch von Millionen schwelender
Braunkohlefeuer war eindeutig

VIII
Später dann im Taxi auf dem Weg
Vom Flugplatz denke ich an das
DDR-Taxi und wie der Fahrer
Verächtlich ein Trinkgeld ablehnte
Vielleicht aus Idealismus aber
Viel wahrscheinlicher weil er
Sich Westvaluta erwartet hatte

IX
Im Hotel stehe ich dann lange
Am Fenster, sehe auf die
Lietzenburgerstraße hinab
Es wird langsam Nacht
Und mir ist als ob ein Schatten
Aus der Vergangenheit
Auf mich wartet