Donnerstag, Dezember 28, 2006

Das Berlin-Gefühl



Ich nenne es mein Berlin-Gefühl
und es hat absolut nichts
mit dem Koffer zu tun
den Marlene Dietrich dort
noch stehen hat

Es stammt vielmehr aus
meiner DDR-Zeit, als ich in
Berlin-Ost stationiert war
um das Hotel am Palast und
einiges Andere zu bauen

Die ganze Woche über
schuftete ich schwer
und freute mich kindisch
auf den Sonntag
in Berlin-West

Am Sonntagmorgen nahm
ich dann die S-Bahn zum
Bahnhof am Zoo. Es regnete
und die Geschäfte waren
weitgehend geschlossen

Und da -
wie ein Blitz aus heiterem Himmel
überfiel mich dann dieses Berlin-Gefühl
während ich in leeren, regennassen
Straßen umherirrte

Lietzenburgerstraße
Uhlandstraße und Kudamm zurück
vollständig hoffnungslos
vollständig sinnlos, vollständig
einsam und zu Tode gelangweilt

Meistens fuhr ich bald wieder zurück
in das Bauern- und Arbeiterparadies,
wurde am Grenzübergang von
mürrischen Beamten gründlich
durchsucht und fuhr dann die Stalinallé
mit der Straßenbahn hinaus zu
meiner Wohnung um den Rest
des Sonntags zu verschlafen
während vor unserem Wohnblock
die ganz offensichtlich geheimen
Stasiagenten Wache hielten um ihre
DDR-Bürger vor jeglichem Kontakt
mit uns dekadenten Schweden
zu schützen

Das ist ungefähr
was ich mein Berlin-Gefühl nenne.
Vielleicht ist es schwer zu verstehen
und bisweilen überfällt es mich auch
anderswo - doch nie so heftig wie an
jenen Sonntagen am Bahnhof Zoo